Bei aller Kritik an den Entwürfen überstaatlicher Akteure für eine neue Wirtschaftsordnung: Es stimmt, dass ein „Reset“ oder „Neustart“ oder ein „besserer Wiederaufbau“ (build back better) absolut vonnöten wäre. Ich meine aber, dass es sehr darauf ankommt, wie dieser Aufbau geleistet wird, wer ihn leistet, und mit welchen Absichten.
Schauen wir uns die Akteure an, die einen Reset oder Neustart vorschlagen, kommen mir herbe Zweifel, ob diese Akteure wirklich das Gemeinwohl im Sinn haben oder einfach ihre Vorstellung von Wirtschaftsordnung in Stellung bringen wollen. (Es könnte ja sein, dass in ihrer Lesart von „nachhaltigem Wirtschaften“ die Betonung klar auf der Wirtschaft liegt und nicht so sehr auf der Nachhaltigkeit …)
Warum gehen jetzt nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam das Wagnis ein, eine neue Gesellschaft zu entwerfen – jeder für seinen Bereich – mit konkreten Vorschlägen zu ihrer Umsetzung?
Für die Musik fühle ich mich an das Darmstadt der Nachkriegsjahre erinnert. Es wurde nach dem Gräuel des Kriegs eine „Stunde Null“ ausgerufen, und es entstand eine völlig neue Musik! Diese wurde vor allem von Komponisten des sowjetischen Einflussbereichs als eine „Musik der Freiheit“ wahrgenommen. Aus heutiger Sicht mutet die Tonsprache von Boulez, Stockhausen, Messiaen etc. vielleicht etwas spröde an, weil sie sich vornehmlich an physikalischen, mathematischen Gegebenheiten, an Materialaspekten orientierte. Dies mag eine natürliche Konsequenz der vorausgehenden Geschichte sein, in welcher Musik vereinnahmt wurde, insbesondere um Massen gefühlsmäßig zu manipulieren.
Nie wieder sollte es möglich sein, mit Hilfe von Musik ein Volk zu verführen!
Heute, 75 Jahre später, befinden wir uns in einer gänzlich anderen Ausgangslage. Die Pandemie von 2020 hat dieses Land nicht zerstört (auch wenn die Maßnahmen immense Schäden verursacht haben). Allerdings könnte man wohl sagen, dass den aktuellen Krisen und Problemen mit einem Übermaß an technologischen Lösungen begegnet wird, und ein gewisser Mangel an seelisch-geistiger Nahrung besteht.
Kann hier die Musik nicht einen konstruktiven Gegenentwurf bilden? Wäre es nicht Zeit für eine Musik, die den Menschen ganzheitlich anspricht, insbesondere in seinem seelisch-geistigen Dasein? Und dies, ohne sich dabei vereinnahmen zu lassen von Regierungen und Konzernen, die ihren eigenen „Neustart“ gestalten wollen, und dabei vor allem jene fördern, die Digitaltechnologien in den Vordergrund stellen?
Möglicherweise müsste eine solche Musikkultur, um nicht vereinnahmt zu werden, sich gänzlich von staatlichen und korporatistischen Einflüssen fernhalten. Dann wäre sie allerdings wirklich in der Lage, den Herren (!) auf die Finger zu schauen.
Wie könnte solch ein „Darmstadt 2021“ aussehen? Wie könnte man es aufbauen?
Dies wäre in der Tat eine Musik für Heute und Morgen ….
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