Vor etwa einem Monat habe ich mir erste Gedanken über den gegenwärtigen Stillstand des kulturellen Lebens gemacht. Jetzt denke ich, dass den Gedanken Taten folgen sollten. Wir haben erst Ostern abgewartet, dann noch bis zum Monatsende April: Gelockert hat sich kaum etwas, und für die Musikszene überhaupt nichts.
Schaut man heutzutage in die einschlägigen Kulturportale und Feuilletons, liest man nichts als Absagen. Ich finde, es ist Zeit für ein paar Ansagen.
Erste Ansage: Singen ist nicht verboten!
Der MGV Zarten veranstaltet jedes Jahr ein Maisingen: die Sänger gehen von Haus zu Haus und singen Mailieder und Schlager als Ständchen für ihre treuen Zuhörer und Unterstützer. Auch dieses Jahr soll es stattfinden, und zwar so: Vorstand und Chorleiter werden zu zweit unterwegs sein – soviel ist in der Öffentlichkeit erlaubt – und die Lieder zweistimmig zu Gehör bringen. Darüber hinaus ist es gut möglich, dass sich weitere Sänger zufällig in der Gegend befinden oder aus ihrem Garten oder Fenster heraus mit einstimmen.
Damit das auch gut klingt, findet vorher eine Probe statt, und zwar mit fünf Sängern – soviel ist im privaten Rahmen erlaubt. Darum findet die Probe auch nicht im Sängerheim statt, sondern in einer Industriehalle. Hier ist Platz genug, um die gesetzlichen Abstandsregeln einzuhalten und nebenbei in guter Akustik neue Erfahrungen in Sachen Raumklang zu machen.
Natürlich besteht ein Chor aus mehr als fünf Sängern. Vorher wird über den Mailverteiler gefragt, wer an einer solchen Aktion teilnehmen möchte. Aus den Freiwilligen werden ihren Stimmlagen entsprechend Quartette gebildet. Gibt es mehrere Quartette, können diese entweder nacheinander proben oder an verschiedenen Orten gleichzeitig. Sind dann noch Sänger übrig, etwa zu viele aus derselben Stimmlage, können diese einander „ablösen“.
Nach diesem Modell könnte ab sofort ein provisorischer Probe- (oder einfach nur Sing-) Betrieb wiederaufgenommen werden. Unter Umständen müsste der Chorleiter einigen notenkundigen Mitsängern beibringen, wie man von der Stimmgabel (oder von einem Instrument) Töne anstimmt. Nachdem der Chorleiter die Quartette unter musikalischen Gesichtspunkten zusammengestellt hat, könnte dann ein solcher gemütlicher Singabend im privaten Rahmen auch ohne ihn stattfinden.
Wichtig: Da für die Einhaltung der Verordnungen ausschlaggebend ist, dass es sich tatsächlich um einen privaten Rahmen handelt, sollten diese Zusammenkünfte nicht vom Vorstand, sondern von den Sängern selbst organisiert werden (mit Unterstützung des Chorleiters). So erledigt sich auch die Haftungsfrage von selbst, da der Vorstand ja nicht in der Verantwortung steht – jeder nimmt „auf eigene Gefahr“ hin teil.
Nächste Ansage: Raus in die Öffentlichkeit!
Gerade in dieser Zeit braucht es musikalische Lebenszeichen in nicht digitaler Form. Ein Gesangsquartett aus Privatpersonen mit einer spontanen Live-Darbietung ist immer eine Wohltat und eine Freude. Die Kirchen sind ja geöffnet, und sogar Gottesdienste werden bald wieder möglich sein. Da lässt es sich wunderbar in kleinen Gruppen singen, wiederum mit neuen Raumerfahrungen. Zudem sind die Kirchen oft groß genug, dass sich unter Wahrung sämtlicher Abstandsregeln auch einige Zuhörer mehr oder weniger zufällig dort einfinden können. Ankündigungen können per Mundpropaganda erfolgen, oder man lässt einfach eine Tür offen stehen. Neben Kirchen eignen sich übrigens auch Wälder und Weinberge und weitere natürliche, akustisch vorteilhafte Umgebungen. Die Sänger müssen ja auch nicht in Uniform auftreten – auf dem Lande kennt man sich.
Wir sind bisher aus Rücksichtnahme und Respekt brav „zuhause geblieben“. Da allerdings noch überhaupt nicht abzusehen ist, wann Chorsingen und Vereinsleben in der gewohnten Form wieder zugelassen wird, sollte man zu den ungewohnten Formen greifen. Denn die gegenwärtige Stilllegung ist eben nicht alternativlos. Es ist nicht einzusehen, warum wir nicht versuchen sollten, den zulässigen Rahmen der Verordnungen voll auszuschöpfen. Darum:
Letzte Ansage: Singen ist viel zu gesund – besonders für die Lunge! – um damit nicht wieder anzufangen.
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