Ein Kommentar zu einer Pressemitteilung der Chorverbände in Baden-Württemberg

 

Haben Sie auch dieses Gefühl? Man kann derzeit tun, was man will, um die Hygieneauflagen für Chorsingen zu erfüllen, und es genügt einfach nicht: Auf die 3G-Regel folgt die 2G-Regel, dann 2G Plus (also geimpft PLUS getestet), hier und da wird sogar ein PCR-Test verlangt (also Doppel-Plus), und nun soll zu alledem noch mit Maske gesungen werden.

Wenn jemand den Wunsch hat, Chorsingen möglichst kompliziert, unerfreulich oder gar unmöglich zu machen, dann geht dieser Wunsch gerade in Erfüllung: Proben und Veranstaltungen werden abgesagt, Chöre gehen in den freiwilligen Lockdown, immer mehr geben gänzlich auf – lieber gar nicht singen als unter solchen Bedingungen.

Hatte man uns nicht versprochen, dass wir unsere Normalität wieder zurückerhalten, wenn allen BürgerInnen ein Impfangebot gemacht wurde? Sollte nicht dann die Pandemie beendet sein – oder zumindest die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung wieder zurückgenommen werden?

Dass dies nun nicht stattfindet, kann nur zwei Gründe haben: Entweder man hat uns nicht die ganze Wahrheit erzählt, oder irgend etwas ist dazwischen gekommen. Oder beides?

Für den ersten Grund spricht inzwischen einiges. Kaum ein Politiker von Rang signalisiert ein ernsthaftes Interesse, der Kulturbranche wieder eine möglichst reibungslose Ausführung ihrer Tätigkeit zu ermöglichen. „Niemand hat die Absicht, Kultur zu öffnen“ – so will es scheinen. Präziser gesagt: es wird zwar vordergründig geöffnet, jedoch unter ständiger Verschärfung der geforderten Auflagen.

So können wir nicht arbeiten. Kulturelles Schaffen benötigt Freiräume – und Freiheit. Masken sind nicht nur beim Singen lästig, sie behindern auch die Kommunikation. Dass selbst von Geimpften auch noch zusätzliche Testungen verlangt werden, kann man zwar als konsequent ansehen – es gilt inzwischen als gesichert, dass diese sich und andere anstecken können. Aber ist es wirklich zielführend, jegliches noch so geringe Risiko einer Ansteckung auszuschließen? Wird nicht dabei das Leben mit verhindert? Richten nicht die Maßnahmen inzwischen mehr Schaden an, als sie nützen? Vor allem: Hört das jemals wieder auf?

Schon jetzt haben wir in unseren Chören bei der Umsetzung der durch unsere Regierung erlassenen Verordnungen rote Linien überschritten: Mit der „2G“-Regel beteiligen wir uns aktiv an der Diskriminierung und Ausgrenzung unserer eigenen Mitglieder. Dies ist nicht zu leugnen, da nützt es auch nichts, sich vorzumachen, diese seien an der ganzen Misere „schuld“, etwa weil sie das Impfangebot des Bundesgesundheitsministers nicht annehmen möchten.

Wir werden irgendwann im Rückspiegel der Geschichte klar sehen können, ob wir recht gehandelt haben. Bis wir das wirklich beurteilen können, fände ich es angebracht, mit solch drastischen Maßnahmen zurückhaltender zu agieren.

Auch der Einwand, diese Maßnahmen seien ja Gesetz – was sie nicht sind, sondern untergesetzliche Verordnungen -, greift zu kurz. Denn wo die Regierung selbst Recht bricht – und dies tut sie, indem sie seit über 18 Monaten die Verfassung de facto außer Kraft setzt – können wir nicht recht handeln, indem wir ihr einfach blind in allem folgen. Wohin das führen kann, dafür haben wir in unserer eigenen Geschichte reichlich Anschauungsmaterial.

Möglicherweise sind wir in den vergangenen fast zwei Jahren durch das ständige kurzfristige Hin und Her zwischen Inzidenzen und von diesen ausgelösten „Warn-und Alarmstufen“ so gut im Gehorsam trainiert, dass wir gar nicht mehr merken, wo das, was von uns verlangt wird, das menschliche Maß überschreitet. Gehorsam ist zwar eine alte deutsche Tugend, aber nicht per se eine gute: gerade der kalte Gehorsam hat zu den schlimmsten Gräueltaten geführt.

Zurück zu der Frage, ob man uns möglicherweise nicht die ganze Wahrheit erzählt hat, und warum die Normalität nun noch immer nicht wiederhergestellt werden kann.

Eine mögliche Antwort darauf liefert Klaus Schwab in seinem bereits im Juni 2020 erschienenen Buch „Covid 19 – The Great Reset“. Schwab ist der Gründer und Leiter des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum = WEF), eines Elitenetzwerks aus Konzernen und Regierungen – in genau dieser Reihenfolge.

Nach dessen aktueller Agenda soll ein „Großer Umbruch“ stattfinden, der nichts weniger als einen Totalumbau der Weltwirtschaft darstellt. Nach Schwab ist die Pandemie ein „Gelegenheitsfenster“, um diesen Umbruch zu vollziehen. Schaut man sich die weltweiten Vorgänge an, ist es nicht schwer festzustellen, dass die Gelegenheit von den maßgeblichen Akteuren gut genutzt wird: derzeit deutet alles in Richtung Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Kontrolle, und die Pandemie dient als „Brandbeschleuniger“.

Nun ist gegen einen Umbau unseres Wirtschaftssystems zunächst einmal nichts einzuwenden. Vielmehr wird dieser dringend benötigt. Ob allerdings diejenigen, die ihn planen und durchführen, die Richtigen sind, ist eine andere Frage: sind es nicht ausgerechnet dieselben, die unser Wirtschaftssystem an den Rand des Abgrunds geführt haben?

Aus Sicht der Kulturschaffenden kann der „Great Reset“ keine gute Nachricht sein. Denn Kultur kommt in den Plänen des WEF praktisch nicht vor. Sie findet sich dort abgehandelt in wenigen Zeilen unter der Rubrik „media, arts and entertainment“. Dies bedeutet: Im Neuen Normal findet Kultur vorrangig digital und medial vermittelt statt. Für das unmittelbare Kulturerleben – wie etwa das Chorsingen – gibt es keinen Platz und keinen Plan: in der Neuen Normalität ist es offenbar gar nicht vorgesehen.

Wir können vermuten, dass dann von der Kulturszene, wie wir sie kannten, nicht mehr viel übrig sein wird. Denn die Treiber des Großen Umbruchs – und womöglich auch der Pandemie? – folgen dabei der Logik der Kreativen Zerstörung („disruption“ ist ein Lieblingsbegriff im Silicon Valley). Und es ist kaum zu übersehen: die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung haben bei allem, was man ihnen zugute halten kann, etwas Destruktives.

Ich möchte hier eine beunruhigende Vermutung zur Diskussion stellen: dass aus voller Absicht nicht die milderen Mittel unter den möglichen Maßnahmen gewählt werden – damit die Kreative Zerstörung ungehindert walten kann.

Ob dies zutrifft oder nicht, es funktioniert ziemlich gut. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil ja letzten Endes immer das Virus schuld sein kann.

Dabei müssen wir uns bewusst machen, dass wir zu den Verheerungen unseres Kulturlebens selbst beitragen – wissentlich oder unwissentlich. Denn seit wir „3G“ praktizieren, können wir uns nicht mehr auf eine Zuschauerposition berufen, da wir uns ja bereits mittels „3G“ dazu zwingen lassen, die Maßnahmen nicht nur duldend mitzutragen, sondern tatkräftig umzusetzen.

Darum genügt es auch nicht, in Pressemitteilungen ein paar Dinge anzumerken, die man „kritisch sieht“. Der Deutsche Chorverband hat mit weit über 2,3 Millionen Mitgliedern ein anderes Gewicht, als er derzeit in die Waagschale legt. Was hindert uns daran, unsere Stimmen hörbar zu machen? Oder glauben wir noch immer, dass bald, ganz bald, wieder alles so sein wird wie vorher – wenn wir nur weiterhin gehorsam sind?

Der zweite Corona-Winter kann für uns alle ein besinnlicher werden. Im Lockdown – der nicht so genannt wird, aber den viele von uns als einen solchen erleben – haben wir die Chance, zur Besinnung zu kommen.

Dann können wir vielleicht erkennen, wieviel wir bei der Eindämmung der Pandemie bisher erreicht haben. Stehen wir besser da als im vergangenen Winter? Hat es Sinn, genauso weiter zu machen wie bisher – etwa noch schärfer, noch zerstörerischer?

Eines haben wir mit Sicherheit erreicht: Wir können keine unserer Tätigkeiten mehr ausüben, ohne uns zuvor testen und dabei digital überwachen zu lassen. Big Tech und Big Pharma haben bei unseren Vereinen und Institutionen ihren Fuß fest in der Tür. Oder haben sie vielleicht schon die Kontrolle übernommen?

* * *

Es scheint, als würde das Jahr 2022 für viele mit der Hoffnung beginnen, dass wir in diesem Jahr unsere „alte“ Normalität zurück bekommen. Nur von wem eigentlich? Wenn auch einiges dafür spricht, dass mit der Omikron-Variante das SARS-Cov2 endlich in einen (harmlosen) endemischen Zustand findet, heißt das noch lange nicht, dass wir das Maßnahmen-Regiment ohne weiteres wieder los werden. Zu viele Interessengruppen hätten zu viele Vorteile davon, dass uns dieses noch möglichst lange erhalten bleibt.

Selbst wenn wir morgen schon wieder ohne Auflagen singen dürften – würden wir es überhaupt können? Schließlich haben wir uns zwei Jahre lang in Vorsicht geübt und von Ängsten bestimmen lassen. Hiermit sind auch dezidiert alle Vorstände und Präsidiumsmitglieder eingeschlossen, die in dieser Zeit schwer an ihrer Verantwortung getragen haben. Es wird jetzt vor allem darauf ankommen, unseren Ängsten zu begegnen und ihnen das entgegenzusetzen, was wir vor der Krise für eine Selbstverständlichkeit gehalten haben: dass Singen gesund und nicht gefährlich ist.

Es ist an der Zeit, über all dies eine mutige und offene Debatte zu eröffnen, die sich vor kritischen und selbstkritischen Positionen nicht scheut, und zum Ziel haben muss, eine klare Perspektive zu entwickeln: nicht nur darauf, wie wir aus dieser unerfreulichen Lage wieder herauskommen, sondern wie wir Chorsingen in Zukunft leben möchten. Lasst uns reden!

* * *

Schlussbemerkung: Vielleicht weiß ja unser Chorverbands-Präsident Christian Wulff mehr. Als „Global Leader for Tomorrow“ des Weltwirtschaftsforums müsste er über Insider-Informationen verfügen, die darüber Aufschluss geben, was wir als Chöre im Zuge des „Great Reset“ zu erwarten haben. Und bestimmt hat er eine Idee davon, wie sich der Erhalt der Chorlandschaft Deutschlands mit der Agenda des Großen Umbruchs vereinbaren lässt.

Wir sollten ihn danach fragen.

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