In diesen Tagen wird Peter Thiel, dem milliardenschweren Big-Tech-Investor, der Frank-Schirrmacher-Preis verliehen. Peter Thiel? Man reibt sich die Augen.
Nun ist es kein Geheimnis, dass sich der selige FAZ-Herausgeber Schirrmacher gegen Ende seines Lebens intensiv mit der digitalen Disruption beschäftigt hat, schließlich hielt er sie für die größte gesellschaftliche Herausforderung unseres Jahrhunderts. Und dass Peter Thiel einer der Größten unter den Disruptoren ist, mag unbestritten sein. Aber sollte man nicht annehmen, dass sich der selige Stifter einen Laureaten gewünscht hätte, der außer über unermessliche Geldreserven und nicht minder großes Selbstbewusstsein auch über eine ihm ebenbürtige intellektuelle Substanz verfügt?
Die Dankesrede des Preisträgers (heute in der WELT abgedruckt) ist kryptisch – um nicht zu sagen: wirr – und so voller gewagter Thesen, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt: Da wird die großartige Forschungstradition Deutschlands heraufbeschworen, die, nun ja, auch Katastrophisches hervorgebracht hat, aber das gehört offenbar dazu. In einem Nebensatz wird dann auch – hochaktuell – die Gain-of-Function-Forschung erwähnt, als wolle Thiel sagen: das gibt es halt, weil wir es können, und daher ist es gut so.
Am Ende der Rede, die den Titel „Poesie alleine reicht nicht“ im Schilde führt, wird Hölderlin zitiert: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Thiel schlussfolgert: Fortschritt muss Gefahren eingehen, um zur Rettung beizutragen – ein Meisterstück im paradoxen Denken!
Das klingt schwer nach FDP („Digital first, Bedenken second“), nur dass die Liberalen hierzulande nur verantwortungslos, und nicht auch noch größenwahnsinnig sind.
Was käme heraus, wenn man solche Sätze umdreht? Wenn man sich einmal vorgenommen hat, die Welt zu retten (und darunter tun es kalifornische Techies nicht) – ist dann jedes Mittel recht?
Darf, oder muss sogar jedes erdenkliche Risiko eingegangen werden?
Passenderweise liegt der heutigen Ausgabe der WELT, in der die Thiel-Rede abgedruckt ist, ein Magazin der „Bundesgesellschaft für Endlagerung“ bei. Es erinnert uns daran, dass es in Deutschland auch nach über 40 Jahren Suche keinen Ort gibt, an dem unser Atommüll gelagert werden kann. Zwei Generationen sind ins Land gegangen, ohne dass die Großeltern, die sich ihrerzeit für Atomkraft begeistert haben, eine Idee entwickelt hätten, wie mit dem radioaktiven Müll umzugehen sei, den sie ihren Enkeln hinterlassen. Dieser Müll wird übrigens die nächsten 1.000.000 Jahre noch strahlen, also den 100fachen Zeitraum dessen, den der „zivilisierte“ Mensch auf Erden lebt.
Unter den Dingen, die derzeit zu unserer „Rettung“ entwickelt werden, sind zahlreiche, von denen ebenfalls völlig unklar ist, welche Gefahren sie bergen, welche Schäden sie hinterlassen und in welcher Form sie das Erscheinungsbild der Erde dauerhaft verändern werden:
– gentechnisch veränderte Pflanzen, mit denen bereits ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen der USA und Kanadas kontaminiert sind,
– genbasierte „Impfstoffe“, von denen man derzeit noch nicht weiß, und nicht wissen kann, wie sie sich langfristig auf den Organismus von Milliarden Menschen auswirken,
– Geo-Engineering-Methoden, die zwar dem ehrenwerten Ansinnen folgen, den Klimawandel zu mildern, aber auch das Potenzial haben, Ökosysteme nachhaltig zu stören,
– Gain-of-Function-Forschung, die möglicherweise zum Ausbruch der Coronavirus-Pandemie geführt hat und unter den falschen Händen veritable Biowaffen hervorbringen kann,
– die Satellitenoffensive des Elon-Musk-Unternehmen Starlink, das bis zu 40.000 Satelliten ins Weltall schießt, um uns allen lückenloses, schnelles Internet zu ermöglichen (nicht etwa, um uns alle zu überwachen?),
– Gehirn-Computer-Schnittstellen, um unser Bewusstsein maschinell zu erfassen, und das, was wir denken, zu Steuerungszwecken auslesen zu können (z.B. die Musk-Firma Neuralink und das vergleichbare Projekt Neurotech von Peter Thiel)
Es beunruhigt mich nicht, dass es Menschen gibt, die innovative Forschung betreiben. Aber es beunruhigt mich, wenn jene, die sie betreiben, keinerlei Skrupel haben, auch ethisch fragwürdige Forschung gegen alle derzeit noch bestehenden moralischen Bedenken – oder über sie hinweg – durchzusetzen.
Diese Skrupellosigkeit scheint mir gerade typisch für eine speziell im Silicon Valley ansässige Ideologie des Tech-Ökonomismus zu sein, deren Sinnbild die „Plattform“ ist. Eine Plattform bietet lediglich eine Infrastruktur – deren Inhalte sind für die Betreiber weder relevant noch interessant, ihre Qualität weder Teil des Geschäftsmodells noch innerhalb ihrer Verantwortung.
Dies kann man sehr schön daran erkennen, welche Verwunderung in der Führungsetage von Facebook herrschte, als man dort mit Vorwürfen konfrontiert wurde, auf ihrer Plattform häuften sich Hetze, Hassrede und Mobbing. Nun ja, war nicht das ursprüngliche Projekt „The Facebook“ ein Tool zur öffentlichen Beurteilung von Uni-Studentinnen (bzw. deren Aussehen) und damit nichts anderes als ein Mobbing-Instrument?
Auch der ehemalige Google-CEO Eric Schmidt hat kein Problem damit, heute einer der größten Lobbyisten der Tech-Gemeinde beim US-Militär zu sein – schließlich hat er ja schon 2011 alle Welt vorgewarnt: „Wenn Sie nicht wollen, dass jemand davon erfährt, was Sie tun, sollten Sie es ohnehin nicht tun.“
Wenn sich solche Leute dann zusammentun, wie auf ihren hochgeheimen „sun valley“-Konferenzen, von deren Inhalt kein Mensch und kein Medium erfährt, dürfen wir dann weiterhin vermuten, dass die weltweite Tech-Elite sich dort zum Wohl und zur Rettung der Menschheit versammelt?
Zurück zu Peter Thiel: Nach seinen Engagements bei Facebook, PayPal und Tesla wurde er Gründer und CEO von Palantir, eines der wichtigsten Daten-Dienstleister des US-Militärs und der CIA. Dieser sammelt weltweit Daten und wertet sie im Auftrag seiner Kunden aus.
Wessen gesammelte Daten? Woher gesammelt? Und zu welchem Zweck?
Mit der Plattform-Ideologie könnten wir leben, wenn wir davon ausgehen dürften, dass diese verantwortlich betrieben und unsere Daten verantwortungsvoll – d.h. nicht militärisch – genutzt werden. Wahrscheinlicher scheint mir jedoch, dass die Skrupellosigkeit der Plattform-Ideologie exakt die Persönlichkeitsstruktur ihrer Gründer, Finanziers und Betreiber widerspiegelt.
Elon Musk z.B. gibt zu, wie eine Maschine zu denken. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Ich habe auch Raketen gebaut und mich mit Robotern freundschaftlich verbunden gefühlt, aber da war ich etwa 7 Jahre alt. Als Teenager schaute ich mit Begeisterung „Star Wars“ und „Star Trek“.
Heute, als Erwachsener, fällt mir auf, dass es in den einst geliebten Sci-Fi-Abenteuern weder Natur noch Kultur gibt, sondern nur Technik und Krieg. Die Kommunikation ihrer Protagonisten besteht überwiegend aus militärischen Kommandos und dem Referieren von Messdaten bzw. Zitieren von Logbüchern. Von Poesie, Empathie, Philosophie etc. keine Spur.
Sieht so die Rettung aus, für die wir heute jedes erdenkliche Risiko eingehen sollten, Herr Thiel?
Vielleicht wollen Sie solche Fragen nicht hören, weil diese Ihre Fantasien und Ihre ebenso fantastischen Gewinnen behindern könnten. Aber Leben ist mehr. Menschsein bedeutet mehr. Sie mögen recht damit haben, dass Poesie alleine nicht reicht, aber Technik und Ökonomie allein – und mehr kann ich in Ihrem Weltbild beim besten Willen nicht erkennen – eben auch nicht.
Unsere Nachkommen haben auch noch ein Wörtchen mitzureden. Vielleicht befinden sich diese gerade in dem Alter, in dem sie sich für den Weltraum und Kriegsspiele begeistern. Aber eines Tages werden auch sie erwachsen werden und Sie fragen, warum Sie es nicht dabei haben bewenden lassen, zu spielen, und warum Sie nicht stattdessen Ihre Bemühungen darauf verwendet haben, an einer wirklich lebenswerten Zukunft mitzubauen.
Wenn Frank Schirrmacher heute noch lebte, würde mich sehr interessieren, welche Fragen er an diese Zukunft gestellt hätte. Beschwor er doch in seiner Essay-Sammlung „Ungeheuerliche Neuigkeiten“ den Mondlandungs-Effekt der 60er-Jahre, den sich viele Technologie-Apologeten heute wieder herbeisehnen.
Ihre heutigen Vorhaben beziehen sich jedoch weniger auf ferne Planeten, sondern auf die völlige Umgestaltung unserer Erde.
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