Sehr geehrter Herr Präsident Wulff,
sehr geehrte Vorstände und ChorleiterInnen,
liebe Sängerinnen und Sänger,
Wir alle, aktive ChorsängerInnen und ChorleiterInnen, haben in den vergangenen 18 Monaten viel experimentiert, um unsere Tätigkeit nach Kräften und im Rahmen geltender Verordnungen aufrecht zu erhalten – in einer Zeit, in der das Singen als „gefährlich“ galt und gar verboten war.
Nun habe ich den dringenden Wunsch, innezuhalten und zu betrachten, was eigentlich erreicht wurde – durch all die Maßnahmen und alles Experimentieren –, welche Perspektive wir als Singende heute haben.
Experimentieren ohne Ende – und ohne Grenzen?
Derzeit erleben wir ein Experiment mit Impfstoffen – und diese Beschreibung ist mehr als passend, da es sich doch um experimentelle, genbasierte Impfstoffe mit bedingter Notfallzulassung handelt, auf die wir unsere Hoffnung setzen. Denn – so hat man uns gesagt – wir werden erst dann wieder in die Normalität zurückkehren (dürfen), wenn ein nennenswerter Teil der Bevölkerung geimpft ist. Und ich bin sehr gespannt, wie dieses Experiment, in dem wir uns befinden, ausgehen wird.
Bis zum Ausgang des Experiments müssen wir Dinge hinnehmen, von denen ich niemals zu träumen gewagt hätte: Die bundesweit beschlossene „3G-Regel“ als Bedingung für unser kulturelles Wirken hat zur Folge, dass künftig ein Teil der Bevölkerung vom aktiven Singen und dem Genuss kultureller Darbietungen ausgeschlossen wird.
Konkret: Wir werden künftig Menschen an der Tür abweisen müssen, weil sie keinen „Gesundheitsnachweis“ vorlegen können (vielleicht nicht wir Chorleiter, aber dann die Vorstände – irgendwer muss den „Türsteher“ geben und diese Zumutungen umsetzen).
Dies ist für mich unvereinbar mit der Forderung nach Kultureller Teilhabe, die doch auch in allen Parteiprogrammen erhoben wird. Noch weniger verträgt sich das mit dem Grundrecht auf persönliche Entfaltung, zu der Singen so vieles beizutragen hat. Hier bewegen wir uns bereits außerhalb unserer Verfassung – und ich weiß auch nicht, ob das Vereinsrecht, das ja am Prinzip der Gemeinnützigkeit orientiert ist, eine solche Diskriminierung zulässt.
Wir werden in ein moralisches Dilemma gezwungen
Um es in aller Schärfe zu sagen: Die aktuellen Corona-Verordnungen zwingen uns als Vereine und Kulturschaffende in ein moralisches Dilemma: Wir werden gezwungen, Diskriminierung zu betreiben, wenn wir weiter tätig sein wollen. Zudem begehen wir mit jeder Chorprobe, jeder Veranstaltung – jedem Handeln nach der 3G-Regel – einen Verfassungsbruch: denn die Verfassung lässt nicht zu, dass Grundrechte nur einem Teil der Bevölkerung – dem mit dem Gesundheitspass – zugestanden werden.
Aktuell haben wir die Wahl, durch unser gewohntes Handeln – dem Chorsingen im Verein und indem wir Menschen von kultureller Teilhabe ausschließen – Mittäter oder aber Straftäter zu werden, indem wir uns – aus Gewissensgründen – den geltenden Verordnungen widersetzen.
Die Verfassungsmäßigkeit einer Verordnung ist hierzulande an die Grundsätze „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“ gebunden – dies hören wir mantraartig in unzähligen Bundestagsreden. Ob die aktuell erprobten Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, werden wir wohl erst im Nachhinein erfahren. „Erforderlich“ sind sie nur dann, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht – hier lohnt ein Blick auf unsere Nachbarländer Dänemark und Niederlande, die gerade sämtliche „Corona“-Maßnahmen aufheben. Auch über die Verhältnismäßigkeit sollte immer neu diskutiert werden, zumal der Wissenschaftliche Dienst des Bundesgesundheitsministeriums in seinem Gutachten festgestellt hat, dass das Gesundheitssystem im Jahr 2020 zu keinem Zeitpunkt überlastet war.
Gerade im Hinblick auf unsere Deutsche Geschichte halte ich es für geboten, jegliche Maßnahmen, die sich über den vom Grundgesetz erlaubten Rahmen hinausbewegen, mit äußerster Vorsicht zu erheben. Besonders Maßnahmen gegen Minderheiten (die „Ungeimpften“) und Maßnahmen mit totalitärem Charakter (Verordnungen, die regeln, wie viele Menschen sich in welchem Rahmen zu welchem Zweck treffen dürfen), sollten sich angesichts der Erfahrungen mit dem NS-Regime von selbst verbieten.
Für einen anderen Umgang mit dem Pandemischen Geschehen
Schließlich frage ich mich, warum der Deutsche Chorverband mit seinen über 2 Mio. Mitgliedern hier nicht seine Stimme erhebt, um von der aktuellen (und künftigen) Regierung einen anderen Umgang mit dem pandemischen Geschehen zu fordern: einen menschenfreundlicheren, ganzheitlichen, Zusammenhalt fördernden Umgang.
Denn schon jetzt sehen wir, wie Chöre sterben und sich Gemeinschaften auflösen. Sollte dieser Zustand noch weiter andauern, wird unsere Chorlandschaft nicht mehr das sein, was sie einmal gewesen ist. Und wir als Verantwortliche müssen uns vorwerfen lassen, dass wir diese Entwicklungen hingenommen und sogar mitgetragen haben, obwohl wir es besser hätten wissen können.
Denn Singen ist nicht gefährlich, sondern gesund für Körper, Seele, Geist und für die Gemeinschaft. Es darf nicht sein, dass dieses Kulturgut, um das man uns weltweit beneidet, auf dem Altar einer vermeintlichen Sicherheit – und unter dem Vorwand des „Gesundheitsschutzes“ – geopfert wird.
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