AUDIO-TRANSKRIPTION UND ARRANGEMENT

Dass Musik in schriftlich notierter Form vorzuliegen habe, ist vor allem in der Tradition Mitteleuropas so. Die weitaus größere Zahl der Musikkulturen überliefert ihre Stücke mündlich und orientiert sich beim Zusammenspiel ausschließlich über ihr Gehör. Nimmt man zu dieser noch die populäre Musikkultur des Westens in die Betrachtung mit hinein, so scheint eine große Mehrheit von Musizierenden weltweit auditiv Musik zu lernen und zu praktizieren.

In der Jazzausbildung spielt das Raushören und Transkribieren (d.h. Notieren nach Gehör) von Soli berühmter Musiker eine wichtige Rolle. Paul McCartney wird nachgesagt, er könne bis heute keine Noten lesen (und sei stolz darauf) – wenn man dem Glauben schenken darf. Es scheint jedenfalls musikalische Bereiche zu geben, in welchen der erklingende Ton Vorrang vor dem geschriebenen hat.

In der klassischen Ausbildung kennt man eher das andere Extrem: junge Virtuosen, welche die schwierigsten Werke spielen, aber nicht in der Lage sind, eine einstimmige Melodie nachzuspielen. Selbstverständlich kann die hochschulische Gehörbildung hier abhelfen, aber darf es nicht etwas mehr sein? Oder könnte man nicht von vornherein mehr Wert und Gewicht auf Hörentwicklung legen? Und diese noch instrumentenspezifischer anlegen?

Mein Vorschlag: das Spielen nach Noten und nach dem Gehör als gleichwertige, einander ergänzende Fertigkeiten fördern.

Wie soll das nun gehen? Zum einen wäre es ja möglich, einen Teil des Repertoires gar nicht nach Noten, sondern anhand von Aufnahmen zu lernen. Manche Werke werden sich dazu nicht eignen, aber bei anderen geht es möglicherweise sogar besser (und man könnte sich das Auswendiglernen gleich sparen). Für populäre Musik gilt dies allemal, da es in ihrer Natur liegt, mündlich überliefert zu werden.

Manchmal kommt man auch in die Situation, dass man ein interessantes Stück hört, von dem die Noten jedoch gar nicht aufzutreiben sind. Wenn man dieses Stück trotzdem unbedingt spielen möchte, wäre das ein guter Anlass, das Transkribieren mal auszuprobieren (im Notfall mit Hilfe von Software wie Transcribe! oder Amazing Slow Downer).

Wie bei notierter Musik müsste man allerdings darauf achten, dass der Schwierigkeitsgrad der Musik, die man nach Gehör nachspielen möchte, dem eigenen Niveau der Gehörbildung entspricht.

Und hier sind wir beim Thema: Zusätzlich zur allgemeinen Gehörbildung sollte es noch eine instrumentenspezifische Hörerziehung geben. Denn gerade Pianisten müssen ja enorme Mengen an Tönen hörend erfassen können, so dass harmonisches und polyphones Hören auf einem ganz anderen Niveau stattfinden müsste als etwa bei Bläsern oder Schlagzeugern.

Wenn wir nun vom Hören reden, reden wir von einem sehr differenzierten Vorgang. Zum einen gibt es ja das Hören als (Wieder-) Erkennen von Tonhöhen oder -folgen, welche nachgespielt oder notiert werden sollen. Es gibt aber auch noch ein diesem vorausgehendes inneres Hören, eine Klangvorstellung, die ebenfalls entwickelt werden sollte – und zwar nicht nur, wenn man Komponist werden möchte.

Sich einen Klang innerlich vorstellen zu können, bevor man diesen spielt – und das Ziel sollte ein idealer Klang sein, an dem sich das Spielen orientiert und annähert -, ist quasi der Umkehrungsvorgang dessen, was im Hördiktat oder bei einer Transkription passiert: es ist ein genuin künstlerischer Prozess. Die Möglichkeiten, sich Klänge vorzustellen, sind schließlich unendlich (und können unendlich geübt werden). Aus den vorgestellten Klängen nur die besten auszuwählen und diese zu spielen oder zu schreiben – das sichert die Qualität einer Komposition oder Interpretation.

Damit sind wir beim Arrangieren angelangt bzw. beim Bearbeiten oder Einrichten von Musik für Klavier: Ein gegebenes Ausgangsmaterial – ein Lied, Song, eine Arie oder ein Instrumentalstück (in ganz unterschiedlichen Besetzungen) – wird so umgearbeitet, dass es die Möglichkeiten der zwei (oder vier) Hände und des speziellen Klavierklangs bestmöglich nutzt.

Hierzu brauchen wir Phantasie – oder Klangvorstellung – um im Voraus auf Lösungen zu kommen, wie eine solche Umarbeitung aussehen kann: Welche Hand übernimmt die Melodie, welche die Begleitung; wird beides gleich aufgeteilt, zwischendurch gewechselt etc.? Man könnte sich eine Übung vorstellen, bei der ein Stück zuerst hörend analysiert wird und dann auf dem Klavier eingerichtet wiedergegeben wird. Dies kann sehr eng am Original angelegt, aber auch ganz anders gemacht sein. Viele der so genannten Transkriptionen der großen pianistes-compositeurs, etwa die Opernparaphrasen oder Liedtranskriptionen von Liszt, Thalberg u.a. dürften so entstanden sein. Und hier gilt, was schon über die Komposition gesagt wurde: Arrangieren ist eine Gelegenheit, sich ein exklusives Repertoire aufzubauen, das speziell für ein wertschätzendes Publikum eingerichtet wird.

AUDIO-TRANSKRIPTION (Spielen nach Gehör)

„The education of the ear is perhaps the most important that we can imagine not only for the development of each individual but for the functioning of society, and therefore also of governments. (….) The ability to hear several voices at once, comprehending the statement of each separate one; the capacity to recollect a theme that made its first entrance before a long process of transformation and now reappears in a different light; and the aural skill of recognizing the geometrical variations of a fugue subject are all qualities that enhance understanding. Perhaps the cumulative effect of these skills and abilities could form human beings more apt to listen to and unterstand several points of view at once, more able to judge their own place in society and in history, and more likely to apprehend the similarities between all people rather than the differences between them.“
(Daniel Barenboim)

Exkurs: Hören und Wahrnehmen

Der Philosoph Victor v. Weizsäcker formuliert in seiner Theorie über den Gestaltkreis folgenden Lehrsatz:

„Wahrnehmung und Bewegung vertreten einander nach dem Prinzip einer Drehtür.“

Dieses Bild versteht jeder, der schon mal ein großes Möbelhaus durch den Eingang betreten hat: Manche machen sich ja einen Spaß daraus, sich in der Drehtür unentwegt im Kreis zu bewegen. Sind sie dann innerhalb oder außerhalb des Gebäudes? Oder beides gleichzeitig – teils so oder so, mal mehr, mal weniger?

Überträgt man dieses Phänomen nun auf das Verhältnis von Wahrnehmung und Bewegung, und in der Musik müsste es ja heißen: Spielen und Zuhören, müsste man sich fragen: In welchem Verhältnis ist meine Aufmerksamkeit (bzw. mein Bewusstsein) geteilt zwischen dem Machen von Musik und dem Wahrnehmen von Musik? Bin ich vielleicht übermäßig beschäftigt mit meinem Tun, so dass ich gar nicht zum Zuhören komme? Bin ich dann, obwohl innerhalb der Drehtür (oder des Machens), außerhalb der Musik?

Es wäre müßig, hier Prozentzahlen oder gar statistische Erhebungen angeben zu wollen. Vermutlich würde jeder intuitiv etwas Ähnliches sagen: Wir sind überdurchschnittlich stark mit der Herstellung von Musik beschäftigt und entsprechend weniger mit der Wahrnehmung der eigenen Musik. Dieses Verhältnis geradezurücken oder zugunsten des Hörens umzukehren, könnte ein lohnendes Ziel sein. Wir unterscheiden ja auch Hören und Zuhören: wenn ersteres den physikalischen Vorgang meint und das zweite ein eher ganzheitliches Reagieren auf das Gehörte, dann sollte uns ab jetzt vor allem das Zuhören interessieren….

I. Vorschläge für eine Angewandte Gehörbildung

Die folgenden Vorschläge entsprechen dem Prinzip der entgegengesetzten Perspektive: Der/die Studierende ist hier nicht Schüler, der die Gehörbildungsaufgaben des Lehrers zu lösen hat, sondern er/sie hört sie voraus und stellt sie sich selbst (bzw. man kann sie sich auch gegenseitig stellen).

Übung: Melodien: a) Spielen Sie Lieder, die Sie im Ohr haben, nach Gehör auf dem Klavier. b) Spielen Sie dazu passende Harmonien. c) Erfinden Sie eine passende rhythmische Begleitung.

So kann ein ganz eigenes Repertoire an Melodien aufgebaut werden, die aus dem Stehgreif gespielt werden können.

Bei den folgenden Übungen geht es um Klänge, die sich selbst vorgespielt und verinnerlicht werden können, damit sie in an deren Zusammenhängen gehört (= wiedererkannt) werden können.

Übung: Intervalle: Spielen Sie voraushörend verschiedene Intervalle (möglichst systematisch) a) melodisch, b) harmonisch, c) dieselben über eine Oktave hinausgehend.

Übung: Akkord-Grundfarben: (Dreiklänge: Dur, moll, vermindert, übermäßig – Septakkorde: Major7, Minor7, Dominant7, halbvermindert/vermindert7) a) mit Umkehrungen, b) mit Lagenwechseln, c) in weiter Lage.

Übung: Akkord-Erweiterungen: Erweitern Sie die oben genannten Dreiklänge und Septakkorde durch a) Terzschichtung (9, 11, 13), b) Kombination mit Intervallen (Nebentoneinstellungen) und Akkorden (Bitonalität), c) Umkehrungen und Lagenwechsel.

Übung: Akkord-Voicings: Spielen Sie voraushörend Akkorde in sehr engen und sehr weiten Lagen (Voicings): a) als Clusterchords, b) enge Lage, c) weite Lage, d) extremen Lagen.

Übung: Rhythmen: Spielen Sie voraushörend Rhythmen mit folgenden Varianten: a) Punktierungen, b) Offbeats, c) Synkopen, d) Diminuitionen und Augmentationen, e) Kombinationen aus all diesen.

Bei den nun folgenden Übungen geht es um Stimmführung: Im Idealfall identifizieren sich unsere Finger mit den Stimmen und ihren Bewegungen. Wer führt die Stimmen bzw. die Finger? Das Ohr. Ich empfehle daher, beim Spielen die Augen zu schließen. Verfolgen Sie beim Spielen das Geschehen mit den Augen, wird eher das rationale Denken aktiviert (und das Hören verdrängt!). Folgen Sie dagegen der Stimmführung mit dem Ohr – idealerweise im Voraus – wird das Denken umgangen und eine intuitive Führung der Stimmen bzw. Finger nach dem Gehör ist möglich.

Übung: Zweistimmig: Spielen Sie zwei freie Stimmen in a) Parallelbewegung, b) Gegenbewegung, Seitenbewegung – tonal, modulierend und chromatisch (real)

Übung: Vierstimmig: Spielen Sie freie Akkorde im a) Choralsatz/weiter Lage (zwei Stimmen in jeder Hand), b) Klaviersatz/enger Lage (drei Stimmen rechts und eine Bassstimme links) – tonal, modulierend, alteriert und chromatisch bzw. freitonal.

II. Mitspielen und Nachspielen

Übung: Spielen Sie zu einer gegebenen Aufnahme mit. Sie können dabei existierendes Material mitspielen oder auf Grundlage der Aufnahme frei zu dieser improvisieren.

Übung: Versuchen Sie, ein Klavierstück ausschließlich nach Gehör anhand einer Aufnahme einzustudieren.

Übung: Versuchen Sie, eine Aufnahme eines Orchesterwerks oder einer Band nach Gehör auf dem Klavier wiederzugeben.

III. Anwendungen von Audio-Transkription:

1) Audio-Transkription – Literaturspiel:

* Die Audio-Transkription bietet die einzigartige Möglichkeit, Stücke einzustudieren, zu denen es keine Noten gibt bzw. diese nicht zu beschaffen sind.

* Auf dieselbe Art ist es möglich, ein Werk absichtlich nicht anhand von Noten, sondern nur mithilfe einer Aufnahme einzustudieren. Diese Methode eignet sich am besten für Musik mit populärem Charakter, z.B. Filmmusik, Neoklassik, leichter Klassik etc.

a) Versuchen Sie, Literatur ausschließlich anhand einer Aufnahme einzustudieren.

2) Audio-Transkription – Blattspiel:

* Eigentlich schließen sich das Erfassen von Musik durch Noten oder nach Gehör aus. Es wäre jedoch möglich (und reizvoll), beide Arten der Musikaneignung wechselseitig oder sogar gleichzeitig zu üben, z.B. indem man ein Stück vom Blatt spielt, während die Aufnahme mitläuft.

a) Spielen Sie ein Stück vom Blatt, während die Aufnahme mitläuft.

3) Audio-Transkription – Improvisation:

* Improvisation setzt – gerade im Ensemble – hohe Fähigkeiten im Hören und Zuhören voraus. In einer Duo-Improvisation kann das gehörte Material des einen Spielers als Grundlage für die Improvisation des anderen Spieles dienen. Es können auch Begleitung und Soli aufgeteilt werden – der eine Spieler muss dabei nicht unbedingt wissen, welche Harmonien der andere verwenden wird…
* Steht kein zweiter Spieler zur Verfügung, kann auch zu einer Aufnahme improvisiert werden.

a) Duo-Impro mit klarer Rollenverteilung (einer führt, der andere spielt nach)
b) Duo-Impro mit Aufgabenteilung (Begleitung und Solo)
d) Improvisation zu einer Aufnahme (Mitspielen)

4) Audio-Transkription – Komposition:

* Allgemein gilt beim Komponieren: Schreibe nie etwas, was Du nicht hören kannst! Je abstrakter die Musik, desto schwieriger ist dies allerdings auch. Es könnte der Versuch unternommen werden, von Alltagsgeräuschen (oder elektronischer Musik) eine Hörpartitur zu skizzieren und diese dann am Klavier umzusetzen. Durch die so entstehende doppelte Abstraktion sind unter Umständen Ergebnisse möglich, auf die man sonst nicht gekommen wäre …

a) Erstellen Sie eine Hörpartitur einer Tonaufnahme.
b) Versuchen Sie das Gehörte am Klavier dazustellen.

5) Audio-Transkription – Generalbass:

* Für das Spielen von barocken Bassmodellen ist das Erkennen von stiltypischen Kadenzen und Sequenzen entscheidend. Es kann die Aufgabe gestellt werden, aus einer gegebenen Aufnahme solche Standardmodelle herauszuhören und den Rest zu improvisieren. Es kann auch zu einer Aufnahme mitgespielt werden.

a) Hören Sie das Bassmodell heraus und notieren Sie es ggf.
b) Spielen Sie eine Improvisation über das gehörte Bassmodell (Kadenz/Sequenz).
c) Spielen Sie zu einer Aufnahme mit.

6) Audio-Transkription – Leadsheet:

* Für das Raushören von Musik ist es überaus hilfreich, bei der Bassstimme zu beginnen und auf deren Grundlage die Harmoniefolge zu erschließen. Es kann auch die Melodiestimme notiert werden – mit oder ohne die dazugehörigen Harmonien. Es kann auch zu einer Aufnahme mitgespielt werden.

a) Hören Sie erst die Bassstimme heraus und notieren Sie Akkordsymbole.
b) Erstellen Sie ein Leadsheet mit Akkordsymbolen eines gegebenen Stücks.
c) Spielen Sie zu einer Aufnahme mit.

7) Audio-Transkription – Partiturspiel:

* Eigentlich schließen sich das Erfassen von Musik durch Noten oder nach Gehör aus (siehe Blattspiel). Es wäre jedoch möglich und hilfreich, Partiturspielen bei gleichzeitigem Hören zu üben, z.B. indem man ein Stück (oder einzelne Stimmen) aus der Partitur spielt, während die Aufnahme mitläuft. Dies hat den Vorteil, dass das Tempo unerbittlich weiterläuft und gleichzeitig die Aufnahme als klingende Gesamtheit immer präsent ist.

a) Spielen Sie ein Stück oder Stimmen daraus aus der Partitur, während die Aufnahme mitläuft.

8) Audio-Transkription – Ensemblespiel:

* Selbstverständlich ist ein erfolgreiches Ensemblespiel ohne aktives Hören und Zuhören nicht denkbar. Um dies zu fördern, wäre der Verzicht auf Noten (Auswendigspiel) oder sogar die Aneignung der Werke ausschließlich anhand von Aufnahmen zu üben – sicherlich eine drastische, aber sehr wirkungsvolle Maßnahme.

* Möglich wären improvisierte Übungen, bei denen sich das Material im Ensemble durch gegenseitiges Zuhören entfaltet – entsprechende Anordnungen finden sich z.B. in den Konzepten von Stockhausen u.a..

* Eine andere Möglichkeit ist das gemeinsame Raushören sehr einfacher Parts bei klarer Aufgabenteilung (z.B. im 4händigen Spiel).

a) Spielen Sie ein Stück anhand einer Spielanweisung, die das Material aller Spieler hörend entfaltet.
b) Hören Sie aus einer Aufnahme ihre jeweiligen Parts heraus.

9) AUDIO-TRANSKRIPTION – ARRANGEMENT:

Hier entsteht eine erste Schnittstelle zwischen den beiden heute thematisierten Disziplinen: Um ein Arrangement nur nach dem Gehör zu erfassen, ist es sinnvoll, sich wechselseitig auf die verschiedenen Instrumentalfarben zu konzentrieren und die Funktionen der jeweiligen Instrumente zu bemerken. Dann erfolgt eine Auswahl derjenigen Funktionen, die unverzichtbar sind, sowie deren Übertragung auf das Klavier.

a) Hören Sie die einzelnen Instrumente und deren Funktionen.
b) Übertragen Sie die wichtigsten dieser Funktionen auf das Klavier.

Wir können vermuten, dass der historische Begriff der Klaviertranskription beides in sich vereint: Ein Musikstück, z.B. eine Opernarie oder ein Volkslied, wird nach Gehör gespielt und in ein kunstvolles Arrangement verwandelt.

ARRANGEMENT

Das Arrangieren und Transkribieren war vor den Zeiten allgegenwärtiger Aufnahmetechnik die einzige Methode, großformatige Werke wie Sinfonien oder Opern auch im häuslichen Rahmen hörbar zu machen: durch Bearbeitung für Klavier solo, 4händig oder spezielle kleine Ensembles, sowie für spezielle Zuhörerschaften. Heutzutage ist mit Arrangieren eher das Instrumentieren oder Einrichten von musikalischem Material für eine bestimmte Besetzung gemeint. Im folgenden Zitat erzählt einer der erfolgreichsten Filmmusikkomponisten, wie man dabei vorgehen kann:

„Aside from his own original instrumentals the arranger usually works from a printed piano-vocal lead sheet. If the song is unfamiliar, play it over several times until your ear can follow the melody and the harmonic progressions easily. Check the chord symbols above the vocal line carefully. For some reason these chords do not always match the written-out chords below them. If you find a discrepancy, let your ear be the judge as to what is correct. This is also true of the bass line. If it doesn’t seem to be the best possible bass note for the progression, play around until you find one that is.“
(Henry Mancini)

Unter den Arrangements / Transkriptionen für Klavier lassen sich folgende Genres ausmachen:

A) Liedtranskriptionen: Arrangements von Volksliedern, Kunstliedern oder Popsongs für Klavier solo – dabei wird die Melodiestimme meist in die Begleitung eingearbeitet.

B) Transkriptionen unterschiedlicher Besetzungen für Klavier: Arrangements und Einrichtungen von Sinfonien, Opern, Kammermusik, Orgelwerken oder Band-Arrangements für Klavier (solo oder 4händig) – dabei wird der Orchester- oder Ensemblesatz reduziert und auf zwei (oder vier) Hände verteilt.

C) Freie Bearbeitung: Hierzu gehören alle Arten von Paraphrasen, Fantasien, Medleys und Potpurris, in denen oft mehrere Melodien unter Hinzufügung von Modulationen, Überleitungen und freien Kadenzen in ein Gesamtwerk verwoben werden.

I. Analyse von Arrangements / Bearbeitungen / Transkriptionen

Übung: Analysieren Sie Ihnen bekannte Arrangements nach folgenden Gesichtspunkten:
– Was wird bearbeitet und in welcher Art und Weise?
– Wie eng hält sich die Bearbeitung an das Original? Was wird verändert?
– Welche kompositorischen / satztechnischen / pianistischen Ideen liegen der Bearbeitung zugrunde?

II. Arrangieren als Satzübung

Versuchen Sie auf Grundlage eines einfachen Liedsatzes (Kunstlied oder Volkslied mit Klavierbegleitung) ein eigenes Arrangement für Klavier solo zu skizzieren. Probieren Sie folgende Methoden auf Melodie und Begleitung anzuwenden:

a) Setzen Sie die Melodie in eine andere Oktavlage.
b) Probieren Sie andere Voicings der Begleitung, auch Oktavierungen und Verdopplungen.
c) Versuchen Sie, andere Spielfiguren für die Begleitung zu entwickeln.
d) Probieren Sie andere Harmonisierungen aus.
e) Wenden Sie die Techniken Ihnen bekannter Arrangements/Transkriptionen auf Ihr Lied an.

III. Anwendung von Arrangieren:

1) ARRANGEMENT – AUDIO-TRANSKRIPTION:

Hier haben wir die zweite Schnittstelle der heute besprochenen Disziplinen: Da in den meisten Arrangements Melodie und Begleitung bzw. verschiedene Stimmen in ihren Funktionen erhalten bleiben, jedoch nur neuen Lagen und Klangfarben zugewiesen werden, kann es eine gute Übung sein, solche Funktionen in eben diesen neuen Lagen und Klangfarben vorauszuhören. Dies hilft bei der Schulung der Klangvorstellung.

a) Stellen Sie sich eine Melodielinie in unterschiedlichen Oktavlagen, ggf. mit Begleitstimme vor.
b) Stellen Sie sich die Begleitung in möglichst unterschiedlichen Varianten vor.

2) Arrangement – Literaturspiel:

* Unter dem Aspekt des Arrangements oder auch der Satztechnik ist es interessant, sich Alternativen zu einem gegebenen Satz in einem Werk vorzustellen: Hätte der Komponist das auch anders setzen können? Wie klingt es mit/ohne Verdopplung? In anderen Lagen? Etc.

a) Probieren Sie Alternativen in der Satztechnik zu einer gegebenen Stelle.
b) Arrangieren Sie Teile eines gegebenen Werks um.

3) Arrangement – Blattspiel:

* Eine wichtige Erleichterung beim Blattspielen ist die Einsicht in die dem Stück zugrunde liegenden Satztechnik(en). Lassen sich hier Regelmäßigkeiten und Prinzipien erkennen, die es ermöglichen, den Leseaufwand zu verringern?

a) Versuchen Sie, Regelmäßigkeiten und Prinzipen der Satztechnik im Voraus zu erkennen.

4) Arrangement – Improvisation:

* Hat man mit den verschiedenen Satz- und Arrangiertechniken etwas Übung gewonnen, lassen sich diese auch improvisatorisch einsetzen.

a) Versuchen Sie, improvisatorisch mit Lagenwechseln und Oktavierungen zu experimentieren.
b) Erfinden Sie spontan Varianten im Stimmensatz (Verdopplungen, Voicings etc.).
c) Versuchen, Sie Harmonien zu erweitern oder zu verändern.
d) Verbinden Sie zwei Teile durch eine freie Überleitung (z.B. in einem Medley).

5) Arrangement – Komposition:

* Der grundlegende Unterschied zwischen einer Komposition und einem Arrangement ist, dass es sich bei Letzterem um fremdes Ausgangsmaterial handelt. Versuchen Sie, die bisher gewonnenen Fertigkeiten im Arrangieren auf eine eigene Melodie anzuwenden.

a) Erfinden Sie eine Melodie oder ein Thema.
b) Versuchen Sie, dieses Thema auf vielfältige Weise zu arrangieren, z.B. in Form von Variationen.

6) Arrangement – Generalbass:

* Eine Idee für ein zu erstellendes Arrangement kann in Form von Generalbass/Partimento-Notation skizziert werden. Dabei werden die zugrunde liegenden Harmonien in Form von Generalbasssignaturen unter der Basslinie notiert. Zusätzliche Informationen wie Patterns können angedeutet werden, ggf. auf einem zusätzlichen System.

a) Notieren Sie die Basslinie Ihres Arrangements in GB-Signaturen.
b) Notieren Sie ergänzende Informationen, ggf. mit Schlüsselwechsel oder auf einem zusätzlichen System.

7) Arrangement – Leadsheet:

* Eine Idee für ein zu erstellendes Arrangement kann in Form eines Leadsheets skizziert werden. Dabei werden die zugrunde liegenden Harmonien in Form von Akkordsymbolen über der Melodiezeile notiert. Zusätzliche Informationen wie Patterns können angedeutet werden, ggf. auf einem zusätzlichen System (vergleichen Sie hierzu manche Stücke aus den „Real Books“).

a) Notieren Sie das Gerüst Ihres Arrangements in Form eines Leadsheets mit Akkordsymbolen.
b) Notieren Sie ergänzende Informationen, ggf. mit Schlüsselwechsel oder auf einem zusätzlichen System.

8) Arrangement – Partiturspiel:

* Wenn aus einem Klavierstück eine Fassung für eine Band, ein Ensemble oder gar Orchester arrangiert wird, müssen die Stimmen ggf. in verschiedenen Schlüsselungen und Transpositionen notiert werden. Dies bietet, ähnlich wie in der Komposition, eine entgegengesetzte Perspektive zum Partiturspiel, indem man nicht geschriebene Noten spielt, sondern zu spielende Noten schreibt.

a) Notieren Sie die einzelnen Stimmen eines Klavierstücks in verschiedenen Schlüsseln und Transpositionen (z.B. Alt- oder Tenorschlüssel, B- und F- Transpositionen)
b) Arrangieren Sie ein Klavierstück für eine frei gewählte Ensemblebesetzung.

9) Arrangement – Ensemblespiel:

* Ideal ist es, wenn sich der/die Arrangeur/in beim Schreiben die Realisierung im Ensemble möglichst genau vorstellen kann. Es ist vorteilhaft, wenn das Arrangement dem Charakter der einzelnen Spieler und ihrer unterschiedlichen Klangfarben Rechnung trägt und zugleich eine möglichst lebendige Interaktion im Sinn hat.

a) Skizzieren Sie Ideen, wie sich durch ein spezielles Arrangement ein besonderes Interagieren im Ensemble verwirklichen lässt.
b) Schreiben Sie ein Arrangement, das innerhalb der Gruppe (auch unter Einbeziehung von Stimme oder Zweitinstrumenten) verwirklicht werden kann.

WEITERE ANWENDUNGSMÖGLICHKEITEN

* Integration von grundlegenden Übungen in Audio-Transkription und Arrangement in die tägliche Praxis:
– Weitgehender Verzicht auf Noten
– Tägliches Nachspielen oder Mitspielen von Aufnahmen
– Übungen in Angewandter Gehörbildung und Klangvorstellung

* Schreiben von eigenen Arrangements
– Sammeln von interessanten Melodien oder Stücken, die bearbeitet oder eingerichtet werden können
– Skizzieren von Arrangement-Ideen

* Anwendung der beschriebenen Übungen auf aktuell studierte Werke
– Umarrangieren von einzelnen Stellen

* Entwicklung weiterer Methoden und Verknüpfungen der Disziplinen